Ist das Stadt oder kann das weg?

Eine Ausstellung des Kuratorenteams im alten Fachhochschulgebäude


Das Kuratorenteam NEUDEUTER, bestehend aus 5 Kuratoren, erarbeitete ein Ausstellungskonzept mit dem Titel "Ist das Stadt oder kann das weg?". Die Ausstellung von Kunstwerken in der Mitte Potsdams lud Bürger*innen und Kunstinteressierte ein, am Ort der anstehenden Veränderungen in neue Blickwinkel einzutauchen und sich auf neue Sichtweisen einzulassen. Die Kuratoren aus Berlin, Potsdam und Argentinien haben sich der Idee verschrieben, die Stadtmitte als Raum zu begreifen, den man neu denken und deuten kann. Sie spielten experimentell anhand der Kunstwerke durch, was es heißt, Raum zu verlieren, aufzugeben oder wie man solchen neu beleben und für die Öffentlichkeit erhalten kann.

Für Ausstellung vom 28. bis 29. Mai 2016 wurde dieser Titel gewählt, der sich leicht verfremdet auf den Fetteckenskandal um die Beuys ́sche Fettecke von 1986 bezieht : Damals wurde öffentlich gefragt: Ist das Kunst oder kann das weg? In unserem Fall rankte sich die Frage um zwei Dinge:

1. Ist das erhaltenswerte Architektur, die jetzt der neu geplanten weichen soll?

2. Gibt man die öffentlich nutzbaren Räume der FH her, um die Stadtmitte veräußern zu können?

Wohin die Massen an Beton verbracht werden, die man keiner neuen Nutzung zuführen möchte, ist unbekannt. In jedem Fall scheint es keine ressourcenschonendeAngelegenheit zusein.

In dem Vierteljahrhundert nach der Wende hat sich das Bewusstsein der Gesellschaft sehr gewandelt. Mehrfachnutzung ist Trend, Nachnutzungen gefragt, die Wegwerfgesellschaft hinterfragt sich selbst und versucht, umweltverträgliche Lösungen zu finden. Oft stehen solche Interessen heute im Vordergrund bei Entscheidungen. Der kosten- und personalintensive Abriss von Tonnen von Beton verschwendet Ressourcen und benötigt am Ende auch einen Ort, an dem die Überreste gelagert werden, ohne sie nutzen zu können. "Ist das Stadt oder kann das weg?" war nicht als Provokation gemeint, sondern hat einen ehrlichen Diskurs angeregt, 25 Jahre nach der Entscheidung für eine behutsame Wiederannäherung an das historische Stadtbild in Potsdam.

Frei werdende Räume bieten immer ein Potential für neue Wege, Potentiale, Experimente. Einige von uns träumen von einem vielfältigen Kulturangebot inmitten der Stadt für alle Geldbeutel - wie in Barcelona oder Paris - sollen Kulturelle Zentren in "Neubauten" mit zeitgenössischen Positionen sich neben historischen Bauten und Ideen behaupten können. Die Zeugnisse der verschiedenen Zeiten können in fruchtbaren Dialog treten und einander in der Rezeption sogar befördern. Das Begegnungscafé im Staudenhof ist ein gutes Beispiel für schrittweise Entwicklungen im Prozess an Orten, die verschiedene soziale Schichten miteinander in Berührung kommen lassen. Das wirkt der Ghettoisierung entgegen und entspricht auch dem jahrhundertealten Ansinnen der Potsdamer auf Toleranz. Die kann mit Nutzung von alten Räumen auf neue Weise tatsächlich mittendrin gelebt werden. So

können intergenerative, interkulturelle, inklusive und beteiligende Konzepte umgesetzt werden und die Stadt als Toleranzstadt in den Fokus rücken.

Konkret ging es um Visionen für eine Nachnutzung des Gebäudes der Fachhochschule, nach deren Auszug im Sommer 2017. Das einst preisgekrönte Bauwerk war dem Verfall preis- und auch für den Abriss freigegeben. Dabei handelte es sich bei der Fassade um eine Kopie eines Bauwerks von Mies van der Rohe und mit den Arkadengängen um eine beachtens- und liebenswerte Architektur, die sich in ihrer Farbgebung und Fassadengliederung und Gestaltungselementen durchaus auf die sie umgebenden historischen Bauten bezogen hat. Davon war leider nicht mehr sehr viel zu sehen. Die Farbe war abgeblättert, der Aufbau auf dem Dach nicht einfühlsam gestaltet und seit Jahren konnte die Ostfassade aufgrund des Containerdorfes davor nicht mehr betrachtet werden.


Zeichnungen für einen Umbau der Fachhochschule

Beteiligung

In drei Werkstätten waren die Potsdamer durch neudeuter und die Initiative "Potsdamer Mitte neu denken" eingeladen, ihre eigenen Visionen von einer künftigen Nutzung der Stadtmitte oder der Gestaltung der zum Abriss vorgesehenen Gebäude kreativ umzusetzen. Teile dieser Ergebnisse wurden ebenfalls in der Ausstellung präsentiert. Eingeladen waren auch die Besucher der Ausstellung, sich an Werken im Prozess zu beteiligen. Dazu gab es Tische inmitten der Ausstellung – auf dem einen einen Stadtplan, der immer wieder neu erfunden wurde mit Bleistiftstrichen und Radiergummieinsatz.

 

Der stein der Weisen - 8 Videos

Der Aufhänger für den Titel der Ausstellung ist die entsorgte Fettecke von Joseph Beuys. Die berühmte Fettecke aus 5 kg Butter schuf Joseph Beuys im Jahr 1982 an einer Wand seines Ateliers in der Düsseldorfer Akademie an . Dabei soll er zu seinem Freund und Kollegen Johannes Stüttgen gesagt haben: " Johannes, ich mache Dir jetzt Deine Fettecke." So betrachtete dieser die Fettecke als Übereignung des Werks an ihn durch Beuys. Etwa neun Monate nach Beuys Tod entfernte ein Hausmeister 1986 die Fettecke. Die Überreste beförderte er in einen Mülleimer. Der Fetteckenbesitzer deklarierte nun die Fetteckenreste in einer Mülltüte zur Kunst mit dem Titel: "Reste einer staatlich zerstörten Fettecke". Er prozessierte und erhielt 40.000 Euro Schadensersatz. Im Jahr 2014 wurde aus der Butter mit einem öffentlichen Destillationsverfahren ein Schnaps gebrannt - der Geist der Reste der Fettecke von Beuys. Dagegen prozessierte dessen Witwe. Mit einem neuen Titel einigte man sich schließlich: Das Werk heißt seitdem: "Geist. Reste der zerstörten Fettecke von Joseph Beuys" und ist in der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf zu sehen.

Beton zu destillieren, scheint an dieser Stelle nicht das Mittel der Wahl, um den Geist des Gebäudes zu extrahieren. Anstelle des Destillierens wird hier die Alchemie als Verfahren vorgeschlagen. Hielten sich doch früher die Fürsten an ihren Höfen gerne experimentierende Alchemisten, welche nach dem Stein der Weisen forschten, nach einem Mittel, welches unedle Metalle in Gold verwandeln könnte.

8 Potsdamer*innen folgten dem Aufruf, ihre eigene Alchemie zu betreiben. Aus einem Stück Beton der Fachhochschule sollten sie mit selbst gewählten Verfahren den Stein der Weisen schaffen, welcher die Stadt vergolden kann. Jede*r schaffte sich sein Experimentierfeld selbst. Bei ihrem Treiben und Tun wurden die Akteure*innen gefilmt und diese Sequenzen waren gemeinsam und zeitgleich in der Ausstellung zu sehen. Ob sie den Beton bebrüten, besingen, an die Wand werfen oder zerreiben wollten, blieb jedem*r Alchemisten*in selbst überlassen.

die Werke und ihre Künstler*innen

Inzwischen steht das Fachhochschulgebäude nicht mehr. Obwohl sich viele Potsdamer*innen für ihren Erhalt einegsetzt haben. An ihrer Stelle entehen nun Gebäude, die in ihrer Kubatur den einstigen Stadtraum des 18. Jahrhunderts rekonstruieren.